Der Vergolder

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Beitrag zu unserem Geschichtenwettbewerb Ostern 2020

Sie mühten sich ab, die Frauen. Ihre langen Haare klebten an ihren Körpern, in Strähnen um ihre Körper. Ihr Keuchen war weithin zu hören.

Der hölzerne Wagen mit den breiten, sperrigen Holzrädern, die Deichsel aus knorrigem Holz, an der sie zogen und zerrten, all das holperte über den steinigen Weg, der auch noch leicht bergauf führte. Grau waren sie, die Frauen, mit rissigen Händen, mit Falten in den Gesichtern, mit bloßen Füßen auf dem schottrigen Pfad. Reizlos geworden im Lauf der Jahre, mit groben Augen und groben Gedanken. Und sie zogen gemeinsam dieses Gefährt, sie schoben und stießen es, stöhnend, keuchend, schwitzend.

Denn oben auf diesem Wagen lag, gefesselt und ohne sich rühren zu können, der Vergolder. Und rund um ihn Kisten und Töpfe mit Säuren und Laugen und ätzenden Substanzen, mit Pulvern und Granulaten, aus denen er sein flüssiges Gold herstellen sollte. Und er sollte!Er sollte ihnen all die Jahre, die vielen verlorenen Jahre ihrer Einsamkeit, ihres Hasses, ihrer Angst, ihrer schweren Arbeit und ihrer Bitterkeit vergolden. Er sollte jeder einzelnen das Geschenk einer vergoldeten Erinnerung an ein goldenes Leben bereiten.

Er sollte!

Mit grimmiger Entschlossenheit hatten sie das Gefährt die Anhöhe empor gezogen und es zum Stillstand gebracht. Ohne sich auszuruhen banden sie den Mann los und feuerten ihn mit Gesängen und kreischenden Zurufen an, sein Werk zu beginnen.

Während er sich anschickte die Substanzen in einem Kessel zu mischen, begannen die Frauen Holzstücke zu sammeln. Sie schichteten Äste, Stämme, Laub, Zweige rund um den Wagen, auf dem der Vergolder stand und tanzten in wilder Ekstase rundherum und immer rundherum. Immer schneller wurde ihr Tanz und immer lauter ihr Schrei. Und während die ersten Dämpfe aus dem Kessel aufstiegen, züngelten auch die ersten Flammen aus den Holzscheiten. Bald loderte das Feuer rund um den Vergolder, und immer mehr Frauen sprangen in rasender Gier ins Feuer.

Die Luft war erfüllt vom Prasseln, vom Flackern des Feuers und vom Schrei der tanzenden, brennenden Frauen. Bald erstrahlte der Himmel in gleißendem Gold. Bald verstummte das Feuer.

Was blieb, war ein goldener Strahl, der sich irgendwo am Horizont verlor…

Fotoeinsendung von Katalin Darthe

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