Morgenstern, Abendstern & Unstern

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Redaktionsbeitrag von Katz vom Team Andracor. Dies ist KEIN teilnehmender Beitrag am Geschichten Wettstreit 2020

Es lebte einst eine junge Mutter, Abendstern genannt, in einem Land weit, weit entfernt mit vielen grünen Palmen, umgeben von weißen Bergen aus Sand, das soweit im Landesinneren lag, dass das blaue Wasser des Meeres dort kostbarer als Saphire galt. Abendstern war schön, sanftmütig und genügsam. Ihr silberweißes Haar schimmerte, selbst in der Nacht, fiel lang über ihren weißen Laib und ihre Wangen trugen stets ein blasses Rosa, wie die Abendröte. Sie saß oft am Fenster des Palastes und betrachtete den nächtlichen Himmel voll Sehnsucht bis zum Sonnenaufgang.

Sie gebar ihrem Gatten, der ein König war, sechs Kinder. Alle wuchsen auf in Reichtum und Freude, es mangelte ihnen an nichts. Als sie groß waren, verließen alle die Mutter und zogen hinaus in die Welt, um dort weiter voll Glück zu leben. Abendstern aber fehlte nur eine Sache um vollkommen glücklich zu sein. Ihr greiser Mann war zwar gütig, weise und ließ es ihr an nichts materiellem mangeln, doch Liebe, die wahre Liebe zu seiner Frau, die besaß er nicht und konnte sie folglich nicht geben.

Dann wurde ihr ein siebtes Kind geboren, das nannte sie ihren Morgenstern, da es das einzige Kind war, dass ihr noch geblieben war, wie auch der Morgenstern der einzige Stern ist, der noch am Himmel bleibt, wenn alle anderen fort sind. So zog sie das Kinde dann groß und es wuchs zu einem stattlichen Manne heran.

Als der alte König Vater letztlich starb, wurde Morgenstern der neue Herrscher des Reiches. Er hatte die Schönheit seiner Mutter geerbt. Sein helles Haar erstrahlte jedes mal in der Sonne, wenn er den Palast verließ und sein Volk liebte und verehrte ihn. Er war ein listiger Krieger, schlagfertiger Staatsmann und ein strenger, aber gerechter Herrscher. Unter seinem Befehl wuchs die Macht des Landes. Seine Mutter aber liebte ihn, den Morgenstern, noch mehr denn je und er liebte seine Mutter, den Abendstern, noch mehr als zuvor.

So kam es nun, dass diese Liebe so sehr wuchs, dass bald schon Abendstern ein achtes Kind erwarten sollte. Als sie dies eines Nachts ihrem geliebten Morgenstern verkündete, war dieser voller Freude und sprach sogleich davon, dass er ein großes Zeichen setzten wolle zu Ehren des Kindes ihrer Liebe. Da er wusste wie sehr Abendstern die Sterne verehrte und sie ihm so lieb und teuer war wie sonst nichts, sollte sich der Nachthimmel neu hängen. Drei Sterne sollten nebeneinander zum Zeichen ihres Bundes durch das Kinde stehen. Diese Sterne sollten immer Mitternachts leuchten, wenn der Morgenstern und der Abendstern nicht zu sehen seien. Morgenstern war so mächtig, dass er dachte seine Weisung, gerufen aus dem Palastfenster, genüge um den Sternen zu befehlen und war verblüfft, bald zornig als selbst nach seinem dritten Anruf nichts geschah. Abendstern jedoch wusste, dass man den Sternen, die sie verehrte, nicht befehlen könne, auch wenn man noch so mächtig sei. Sie missbilligte seine Art und nannte ihn vermessen. Morgenstern, in seiner Ehre gekränkt und missverstanden in dem Wunsch seiner Freude Ausdruck zu verleihen, war dadurch umso mehr überzeugt etwas aussergewöhnliches zu schaffen für sie drei und wenn die Sterne sich nicht von selbst fügten, sprach er, so ließe er einen Turm bis zum Himmel errichten um mit eigenen Händen die Sterne neu zu hängen, koste es was es wolle. Selbst wenn er dafür tausende Sklaven aus allen Herrenländern holen und auspeitschen lassen müsse, damit sie Tag und Nacht für ihn arbeiteten, er all das Geld des Staates aufbrauchen müsse und alle fremden Götter auf einmal anbeten müsse, er würde diese Sterne ändern mit Hilfe eines solchen Turmes. Ob dieser Idee erschrak Abendstern, fiel zu seinen Knien und flehte er möge solch Gräuel nicht wagen, weder für sie noch für das Kind oder sonst wen, ihr genüge der Sternenhimmel wie er sei und einfach Dinge. Morgenstern, der Vielgelehrte, wollte sie beruhigen, doch fand er nicht die richtigen Worte der Güte in seiner Sprache, so nutzte er Worte des Nachbarlandes im Westen, die ihm passender schienen, denn sie waren sanfter. Abendstern verstand nicht, sie hatte nie solch kluge Lehrmeister gehabt wie ihre königlichen Kinder und war auch nie ausserhalb des Palastes gewesen und hatte die Stimmen der Menschen auf den Marktplätzen nie gehört. Sie war zutiefst betrübt über Morgensterns wilde Pläne und konnte noch immer das Feuer der Idee in seinen Augen leuchten sehen. Der warme Klang der Worte, die er sprach und die sie nicht verstand, berührten ihr Herz nicht und sie blickte ihn nur traurig an. So begann Morgenstern statt sanfter Worte, in Worten der Freude zu sprechen, in der Sprache des Landes im Osten um Abendstern wieder fröhlich zu stimmen. Diese Sprache besaß besonders blumige, warme, verspielte Worte. Wild gestikulierend lief er auf und ab und schrie beinah, weil er schon beim sprechen solch Glück verspührte. Abendstern aber bekam Angst vor Morgenstern und den Lauten, die er von sich gab und verbarg sich vor ihm hinter ihrem Bette. Als Morgenstern letztlich in einer dritten Sprache, der Sprache des Nordens, die Abendsstern auch nicht kannte und nicht verstand, begann Worte des Zornes und Verzweiflung an den Mond vor dem Palastfenster zu richten, mit geballten Fäusten und rotem Kopf, wütend Worte spuckend, weil Abendstern nicht nur nicht verstand, sondern seiner Meinug nach nicht verstehen wollte, wie sehr er sie liebte, sogar zu zweifeln schien an ihm und seiner Liebe und an der Größe seines Zeichens der Liebe, seinem Turm, und wie er so schrie und tobte, da stieß sie ihn in Panik zum Palastfenster hinaus.

Das Land ohne König erfuhr nie was in der Nacht geschah. Weil aber alle Morgenstern so sehr verehrt hatten und Abendstern Angst hatte, was geschehen würde, wenn man heraus fände wie und warum der König gestorben war, ersann sie einen Plan, der sicherstellen sollte, dass sie und ihr Kind noch lange unter dieser Sonne weilen könnten. Sie ließ verkünden, dass Morgenstern ein großer Gott gewesen sei, der nun zum Himmel zurückgekehrt war. Und des weiteren, zum Staunen aller, vor allem ihrer selbst, sei sie nun schwanger durch diese göttliche Fügung. “Der König wird wiedergeboren”, ließ sie an alle Hauswände des Landes schreiben, in allen Sprachen, die in und um dem Land gesprochen wurden und in denen auch einst Morgenstern zu ihr sprach. Und als die Zeit gekommen war, gebar Abendstern ein achtes Kind, den Unstern, den Stern der keiner war und den es niemals geben durfte und starb dabei.

Die Geburt des Unsterns brachte Chaos in die Welt, so sagten die Leute. Jedoch zerfiel das führerlose Reich unter der Hand der gierigen Berater, während Unstern von seinen Ammen behütet in der Krippe lag. Das einst so mächtige Land wurde schon bald geplagt von Gewalt und Angst, dann folgten Armut und Hunger, sowie Krankheit und darauf folgte die Seuche. Wer dem Lande nicht entfloh, erstickte am Blut und Husten, wenn man nicht schon vorher verhungert war. Die Glücklicheren waren jene, welche totgeprügelt wurden von den Wachen des Palastes, als es diese noch gab. Tod und Verderben lagen wie ein Fluch über allem. In den bald leeren Straßen des Landes roch es nach Verwesung und irgendwann waren Fliegen das einzige, was dort noch lebte. Den wenigen Menschen, die schlau genug waren in ihren Häusern zu bleiben um die Seuche zu meiden, gelang es einige Zeit nicht zu sterben, jedoch währte dies nicht. Selbst im Palast waren bald schon nur noch wenige Menschen übrig, zumeist die Berater des alten Königs. Sie harrten dort, ob einem Ende der Plage. Doch als auch hier keuchend und blutend einer um den anderen dahin siechte, war’s aus.

Unstern, der derweil zu einem kleinen, aber gesunden Jungen von zwei-drei Jahren, mit hellem Haar und weißer Haut wie Sternenstaub, herangewachsen war, blieb mutterseelenallein zurück im Palast: gehüllt in edles, nachtblaues Tuch mit Goldstickereien von Sternen und Mondsicheln, auf seinem steinernen Throne sitzend in der nun finsteren Halle aus Mamor und Gold mit der hohen, schwarzen Decke, die einst hell erleuchtet den Sternenhimmel wiederspiegelte, aber nun wie ein Grabtuch, ihre Dunkelheit um das einsame Königskind hüllte. Dies saß dort stumm, während sich der Boden des Palastes rot färbte, die letzten Fakeln erloschen, sich die Toten in den Schatten verbargen, die Fliegen kamen und letztlich die Finsternis, welche lediglich erfüllt war vom Surren der zahllosen Flügel der Pestfresser, die sich an den verwesenden Körpern nährten. Und es drang kein menschliches Geräusch mehr aus dem Palaste oder dem Lande und man hörte nie wieder etwas vom Unstern. Was aus ihm wurde weiß man nicht. Er wurde ebenso vergessen wie das Reich, dass er regieren sollte und die Menschen, die ihn verlassen hatten. Heute erinnert sich nur noch der nächtliche Himmel mit seinen Sternen an die Liebe zwischen Morgenstern und Abendstern, sowie ihr vergessenes Kind, dass es nie geben durfte, den Unstern.

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